Stammstrecke: CSU lädt alle Schuld bei Ude ab

München – Das Staatsbegräbnis für die zweite Stammstrecke ist bestellt. Das Milliardenprojekt in München scheitert wohl an den Kosten. Doppelstrategie der CSU: die Schuld bei Münchens OB Ude abladen und die Landesmittel anderweitig verbauen.

Der schwarze Peter kam diesmal per Post. Er wäre womöglich bereit, schrieb der Bundesfinanzminister wortreich, „zu prüfen, ob und welche Möglichkeiten bestehen, das Projekt zu unterstützen“. Aber dazu sei „unabdingbar, dass sich alle Partner engagieren“, „vor allem auch“ die Stadt München mit einem „angemessenen Anteil“ als „hauptsächlicher Nutznießer“. Minister Wolfgang Schäuble hätte auch kürzer schreiben können: Wenn die nicht zahlen, zahlen wir auch nicht – basta.

Der Brief an Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer ist wohl einer der Höhepunkte im seit Jahren andauernden Gezerre um die zweite Stammstrecke. Er belegt, dass die Finanzierung des Projektes derzeit nicht machbar ist. Zahlenlehre: Die zwei Milliarden Euro Baukosten sollen zusammenkommen von Bayern (950 Millionen), Bahn (133 Millionen) und Bund (900 Millionen). Der Bund aber erklärt, vorerst nur 200 Millionen Euro zu haben. Offen sind also noch 700 Millionen. Bayern würde die Hälfte davon vorschießen, wenn die Stadt München die anderen 350 Millionen vorstreckt. Als Kommune dem klammen Bund aus der Patsche zu helfen und damit ein hohes finanzielles Risiko einzugehen, lehnt der Stadtrat aber klar ab. Wenn die Staatsregierung einen Beitrag der Stadt einfordere, dann sei das „wirklich der lächerlichste Versuch, von einem eigenen totalen Scheitern abzulenken“, sagte OB Christian Ude (SPD) Anfang des Jahres.

Nun müsse „ein Plan B mit breiter Wirkung in Gang gesetzt werden“

Es klingt nach einer aussichtslosen Lage – zumal auch nicht noch mehr Landesmittel drin sind. Die eh schon genervten Abgeordneten aus anderen Landesteilen würden dann wohl gegen Seehofer meutern.

Er hat das erkannt. Seit Wochen reift in ihm der Plan, elegant das Projekt Stammstrecke zu beenden. Er sieht aktuell die Chance, Ude die komplette Verantwortung dafür zuzuschieben. Bei Treffen mit Fachpolitikern deutete er eine entsprechende Linie an, auch mit Verweis auf Schäubles vertraulichen Brief.

Hinter vorgehaltener Hand bestätigen einige Kabinettsmitglieder diesen Kurs. „Das Versteckspiel muss zu Ende sein“, sagt Münchens CSU-Chef Ludwig Spaenle über die Frage, ob sich die Stadt beteiligt. „OB Ude denkt nicht für Bayern, was man an seiner Blockade der zweiten Stammstrecke sieht“, sagt auch Sozialministerin Christine Haderthauer, die für die oberbayerischen Abgeordneten spricht. Nun müsse „ein Plan B mit breiter Wirkung in Gang gesetzt werden“. Die vorhandene S-Bahn-Technik müsse schnell modernisiert werden. Haderthauer fordert, baldmöglichst eine Express-S- Bahn zum Flughafen anzupacken. „Für Oberbayern höchst dringlich ist ferner der Ausbau der Bahnstrecke München-Mühldorf-Chemiedreieck mit Anschluss an den Flughafen.“

Die CSU wird nun viel Katzenjammer anstimmen

Dieser Plan B könnte satt unterfüttert werden mit knapp einer Milliarde Euro Landesanteil. Die Münchner CSU legte im März eh ein Konzept vor, was unabhängig von der Stammstrecke zu tun wäre: U 5 von Laim nach Pasing verlängern; die S 8-Trasse ertüchtigen und darauf „vorübergehend“ einen Express-Zug zum Flughafen schicken; den Südring als „Störfall-Alternative“ ausbauen, wenn der Tunnel mal wieder dicht ist; 10- bis 15-Minuten-Takt auf den Außenästen.

Die CSU wird nun viel Katzenjammer anstimmen, um Ude möglichst große Schuld an der Stammstrecke zuzuschieben. Allzu schwer dürfte der Regierungspartei die Abkehr von der Stammstrecke aber nicht fallen. In München gibt es erhebliche Widerstände gegen die Milliardenröhre, der Spott über die Dauer-Baugrube hinterm Rathaus wächst. „Da wird’s keine großen Tränen geben“, sagt einer, der die CSU schon oft weinen und lachen sah. Passend dazu geht am Freitag der Parteivorstand mit Seehofer in Klausur – da wird sicher auch über die Stammstrecke geredet, ebenso heute im Kabinett.

Noch aber gibt es Unbekannte in Seehofers Kalkulation. Er wird sich fortan oft anhören müssen, warum nicht mal ein oberbayerischer CSU-Bundesverkehrsminister – Peter Ramsauer – genug Geld für die zweite Stammstrecke zusammenbekam. Außerdem ist völlig offen, ob der bayerische Koalitionspartner die Alle-auf-Ude-einhauen-Strategie mitträgt. Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) will die Stammstrecke wirklich und hofft noch immer auf ein Wunder. Ein Stammstrecken-Gipfel in Berlin vielleicht, mit Ramsauer, Schäuble, Seehofer, Ude und auch FDP-Chef Rösler? Das würde beim Weiterreichen des schwarzen Peters immerhin Porto sparen.

Von Christian Deutschländer und Matthias Kristlbauer

Merkur, 17.4.12


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